Sonntag, 13. Mai 2007

Weg aus Jerusalem ?

B"H

Innerhalb der letzten Jahre ist eine hohe Anzahl Jerusalemer Buerger nach Tel Aviv abgewandert. Als Hauptgrund fuer die Abwanderung wurde angegeben, dass es Jerusalem an Attraktivitaet fehle; es gebe keine Kinos in der Innenstadt und Lokale wuerden zu frueh schliessen. Vor allem aber beherrschen die Haredim die Stadt.
In Tel Aviv dagegen sei alles moeglich: Bars, die rund um die Uhr geoeffnet sind, koscheres oder nicht - koscheres Essen und keine Haredi - Demonstrationen. In mindestens zehn Jahren werde Jerusalem fast nur noch von Haredim (Ultra - Orthod. Juden) bewohnt und herrschen taeten die ja eh schon.

Es ist sicher richtig, dass die Haredim den Kaschrut - Markt (Koscherzertifikate) beherrschen. Ein Restaurant, Imbiss oder Lebensmittelgeschaeft, welches keine Kaschrut - Ueberwachung vom Rabbanut (Oberrabbinat) oder dem Badatz (Beit Din Zedek verschiedener chassidischer Gruppen) hat, macht fast keinen Umsatz.
Als vor ca. zwei Jahren drei russische Lebensmittelgeschaefte mit unkoscheren Produkten (vor allem Schweinefleisch) in der Agrippas am Machane Yehudah Markt eroeffneten, gab es Zoff mit den Haredim. Eines abends versammelte sich eine Gruppe Chassidim vor einem der Laeden und sagte laut Kaddisch (u.a. ein Totengebet). Dabei blockierten sie den Eingang zum Geschaeft, was den israelischen Ladeninhaber in Rage brachte. Kurz darauf fuhr ein grosses Polizeiaufgebot vor und die Polizisten versuchten, die Haredim beiseite zuschieben, wobei auch Gewalt seitens einiger Polizisten angewandt wurde. Anwesende Passanten (religioes und nichtreligioes) stellten sich sofort auf die Seite der Chassidim und meinten zur Polizei, dass es ja wohl wirklich nicht gehe, dass russische Neueinwanderer hier ihr Schweinefleisch kaufen. Sollen sie doch zurueck nach Russland gehen.
Irgendwann loeste sich die Demo von allein auf und seither gab es kaum noch eine weitere gegen die Geschaefte. Wahrscheinlich sagt man sich, dass die Kundschaft eh nur aus Russen besteht und deren ueberwiegende Mehrheit sei nicht juedisch.

Die juedische Religion spielt in Jerusalem ueberall eine Rolle und es vergeht kaum ein Tag, an welchem man nicht mit ihr konfrontiert wird. Wie auch, wenn mehrere Tausend Haredim in der Stadt leben und viele Stadtteile, die vor Jahren einmal vollkommen unreligioes waren, ploetzlich zu haredischen Stadtteilen werden. Neuestes Beispiel ist derzeit Ramat Eshkol, welches mehr und mehr von Haredim aus dem benachbarten Maalot Dafna besiedelt wird. Maalot Dafna ist ganz einfach zu klein geworden und reiche amerikanische Haredim koennen sich die teueren Wohnungen in Ramat Eshkol leisten.
Ist erst einmal eine haredische Familie in ein Haus eingezogen, gibt es meistens Aerger mit den weniger religioesen Nachbarn. Manchmal kommt es zum Schlimmsten, naemlich das die Nachbarn abwandern und dadurch mehr haredische Familien in das Haus einziehen.

Ein weiteres Beispiel ist Kiryat Moshe, indem ich mehr und mehr Haredim sehe. Urspruenglich ein Stadtteil der Nationalreligioesen, wird Kiryat Moshe ganz langsam immer mehr haredisch. Der benachbarte haredische Stadtteil Givat Shaul wird zu klein und seit geraumer Zeit kaufen sich Haredim an der Grenze zu Kiryat Moshe ein.
All das ist aber kein Grund abzuwandern. Es gibt genuegend Beispiele sehr guter Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Religioesen und Nichtreligioesen. Beste Beispiele sind Rehavia und Katamon. Und geben wir es doch ruhig zu, Leute, die vielleicht nicht unbedingt religioes ausschauen, entpuppen sich ploetzlich als sehr traditionell, wenn es um bestimmte Halachot im Judentum geht. Ich meine an dieser Stelle vor allem die sephardischen Juden.

Ich bin der Meinung, dass man sich arrangieren kann. Was Leute wegtreibt sind vielleicht die fehlenden Vergnuegungsstaetten. Jerusalem hat nun einmal keinen Strand. Die Winter sind kalt, windig und regnerisch. Bar reiht sich nicht gerade an Bar und richtig Exclusives wie die "Brasserie" in der Rothschild Street in Tel Aviv haben wir nicht. Weiter ist Jerusalem von einer hohen Arbeitslosigkeit und fehlenden Steuereinnahmen gezeichnet.
Bis zum Jahre 2008 soll die Strassenbahn fertiggestellt werden, damit die Busse nicht mehr die Luft verpesten. Die Yaffo Street soll dann ganz Fussgaengerzone werden. Mit viel Gruenzeug und ohne Gestank.
Neben der Agrippas (oberhalb der Yaffo) wurde schon vor Zeiten eine neue kleine Fussgaengerzone (Even Israel Street) eroeffnet. Ein Taettoo - Studio, zwei Buchhandlungen, vier Sportgeschaefte und das "Cafe IN" befinden sich dort. Die Geschaefte laufen gut.

Die Stadtverwaltung verkuendet staendig neue Plaene, wie vor allem die Innenstadt attraktiver gemacht werden kann, aber nichts kommt so richtig in Gang. Nichts ausser den neugelegten Strassenbahnschienen in der Sderot Herzl, gleich an der Einfahrt von Tel Aviv.
Und dann werden wir demnaechst ein ganz neues Wahrzeichen haben: Die Bruecke, welche fuer jeden Neuankoemmling aus Tel Aviv sofort sichtbar sein wird. Ich habe nie verstanden, warum wir diese riesen Bruecke als Wahrzeichen brauchen. Haben wir nicht mit der Klagemauer (Kotel) schon genug ? Fuer die Anwohner ist sie ganz einfach ein Schandfleck und es gab grossen Widerstand gegen den Bau.

Was ich an Jerusalem liebe, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen. Tel Aviv ist fuer mich kalt und anonym. Jerusalem ist anders. Rustikaler und jeder hat mit jedem sofort Kontakt. Selbst wenn einem im Bus nur jemand auf den Fuss latscht. Tel Aviv ist eine hektische Betonhochburg, trotz der Restaurierungen in der Altstadt, vor allem um Montefiori. Nichts wuerde mich nach Tel Avi verschlagen koennen. Schon im Bus dorthin habe ich Heimweh nach Jerusalem.

8 Kommentare:

  1. hallo miriam,

    so unterschiedlich sind die menschen.wenn ich im bus nach jerusalem sitze packt mich schon heimweh nach tel aviv ;-)

    trotzdem komme ich immer wieder gerne nach jerusalem, unter der bedingung abends wieder in die gegenrichtung fahren zu koennen.

    ich denke beide staedte haben verschiedene lebenskonzepte und ich liebe nun mal die liberalitaet fuer die tel aviv nun mal steht.

    ich mag keine abgeschlossenen, festen konzepte, sondern mir ist wichtig alles immer wieder in frage stellen zu koennen.

    dazu ist jerusalem m. E. die falsche stadt.

    wie gesagt - ich denke jerusalem und tel aviv schliessen sich nicht aus und man sollte da leben wo man sich gluecklich fuehlt.

    schavua tov,
    grenzgaenger

    p.s. ich werde mit dem blogg "tel aviv freak" auch zu wordpress umziehen ... alles unter einem dach sozusagen !

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  2. B"H

    Ich denke nicht, dass Jerusalem nur aus festen Konzepten besteht. Die Buerger sind sehr vielfaeltig und einzigartig ist, dass jeder Jerusalemer Stadtteil einen anderen Charakter hat.
    Mir persoenlich ist die Religion und daher Jerusalem sehr wichtig. Aber nicht jeder muss so sein wie ich. Trotzdem sind viele Jerusalemer sehr happy in ihrer Stadt. Vor allem auf Beitar.:-)

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  3. da ich ja seit ueber 30 Jahren in Jerusalem lebe, fuehle ich mich als richtige Jeruschalmi. Ich liebe diese Stadt und Tel-Aviv ist fuer mich maximum einen kurzen Besuch wert, oder wie Grenzgaenger hier sagte, hin und wissen, dass man am Abend wieder heimfaehrt.
    Ich wohne in einem Viertel, da sind fast keine Haredim, aber Religioese und Nichtreligioese in gutem Zusammenleben. Wie in vielen Vierteln in dieser schoenen Stadt, auch hier kennt fast jeder jeden. Das liebe ich so sehr und wuerde mit niemanden tauschen.

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  4. B"H

    Ich denke, dass es immer ein Unterschied ist, ob ich Tel Aviv bzw. Jerusalem als Tourist kenne oder wirklich in der Stadt lebe, arbeite und Leute kenne.
    Selten habe ich in einer anderen Stadt soviel nette hilfsbereite und warme Leute getroffen wie in Jerusalem.
    Tel Aviv ist gut um am Strand zu liegen.:-)

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  5. Ich für meinen Teil liebe Jerusalem !
    Ich kann nicht verstehen, was an TA anziehend sein soll!

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  6. können sie mir bite bitte schnel sagen was im jerusalem empfohlen ist die nach jerusalem gehen.....und was es in jerusalem wichtig ist?

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  7. B"H

    Ehrlich gesagt, habe ich die Frage nicht ganz verstanden.

    Wer nach Jerusalem kommt, der muss nicht unbedingt etwas beachten. Wr kommt, der merkt sehr schnell den Unterschied zu anderen israel. Staedten und in relig. Belangen sollte man sich anstaendig kleiden. Keinen Mini oder so. Aber dies halt nur bei relig. Anlaessen oder Sites. Ansonsten kann man sich ganz normal benehmen.

    Die Stadt hat ihren eigenen Charakter, eine eigene Mentalitaet sowie eine eigene Architektur. Haeuser aus dem beruehmten Jerusalemstein.

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