Mittwoch, 1. August 2007

Holocaust - Ueberlebende gehen leer aus

B"H

Seit Ewigkeiten wurde diskutiert und ausgerechnet am letzten Holocaust - Tag (Yom HaShoah) im April kam es zu Demonstrationen. Tausende von Holocaust - Ueberlebenden leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Regierung lenkte unverzueglich ein und meinte, man koenne doch die Ueberlebenden nicht einfach so mittellos dasitzen lassen, nach allem, was sie erlebt haetten.

Doch dann ging die Diskussion wieder von vorn los; es handele sich ja bei den Faellen vorwiegend "nur" um Ueberlebende, die in den letzten Jahren als Neueinwanderer aus Russland kamen und die bekommen eh schon soviel Beihilfen zu ihrer Rente.

Jetzt beschloss man ein neues Gesetz, das da lautet, dass jeder Holocaust - Ueberlebende genau 100 Shekel (ca. 20 EURO) pro Monat bekommt. Die Ueberlebenden laufen Sturm und sehen sich verhoehnt. Die Presse berichtet endlos von allen moeglichen Schicksalen, bei denen es sich keinesfalls um die vorgeschobenen Ueberlebenden aus Russland handelt, sondern um jene, die damals nach der Gruendung des Staates Israel eingewandert sind.

Israelische Holocaust - Organisationen wollen nun ihre Mitglieder dazu veranlassen, das Geld einfach aus Protest umgehend zurueckzusenden.


Hier ein persoenlicher Bericht von mir:
Im Jahre 1997 volontierte ich einmal eine ganze Zeit fuer Amcha, eine Organisation fuer Ueberlebende bis hin in die zweite Generation. Ich hatte mich auf ein Zeitungsinserat hin gemeldet und wurde zu einem Interview eingeladen. Nach meiner Akzeptanz traf sich die ganze Gruppe neuer Volontaere an einem Nachmittag in der Jerusalemer Niederlassung Amchas, in der Hillel Street. Bevor wir ueberhaupt zu jeglichem Einsatz kamen, wurden wir sozusagen psychologisch auf die Praxis vorbereitet. Jeder von uns sollte einen Betroffenen bekommen und ihn einmal pro Woche fuer eine Stunde lang besuchen. Dies musste nicht unbedingt bei demjenigen daheim stattfinden, sondern koennte theoretisch auch in einem Cafe etc. sein.

In unserer Gruppe befand sich selbst ein Holocaust - Ueberlebender namens Ehud, der sich bereit erklaerte, anderen zu helfen und mit ihnen zu reden. Urspruenglich kam er aus Deutschland, hatte den Krieg als Kind ueberlebt und zog dann nach Israel. Er war schon laenger Volontaer und es war mir nie so recht klar, warum er in unserer Anfaenger - Gruppe sass. Er gab sich allen gegenueber immer reserviert und so habe ich nie ein Wort mit ihm gewechselt. Ich hoerte spaeter, dass Ehud auch in israel. Schulklassen von seinen Erlebnissen berichtet. Der Rest unserer Volontaersgruppe war gemischt, wobei ich die Juengste war. Die Juengste und die einzige Religioese. Unser Psycho - Kurs wurde auf Hebraeisch abgehalten und so fiel ein Amerikaner gleich hinaus, weil er kaum etwas verstand.

Zwei oder drei verschiedene Sozialarbeiterinnen erklaerten uns, was wir zu tun und zu lassen haben. Erstens einmal sollten wir nie die eine Stunde Besuchszeit ueberschreiten. Das war ganz wichtig, denn wir alle hatten nur befristet Zeit und ausserdem sollten die Betroffenen nicht wie Kletten an uns haengen. Immer sollten wir Distanz wahren. Dann besprachen wir die Probleme aelterer Leute und was wir ihnen auf keinen Fall sagen durften. Das mir noch am besten in Erinnerung gebliebene Beispiel ist, dass wir nicht das Wort "Gas" erwaehnen sollten. Jemand fragte, wieso das ueberhaupt zur Sprache kaeme, denn schliesslich verwendet ja normalerweise eh niemand das Wort Gas in Konversationen. In der Antwort hiess es nur, dass bestimme Worte halt schreckliche Erinnerungen aufkommen lassen.

Aus Interesse fragte ich einmal nach, ob es viele deutsche Holocaust - Ueberlebende gebe, die von Amcha Betreuung suchen. "Nein, lautete die Antwort, eher nicht. An Amcha wuerden sich teilweise viele sozial Schwache wenden und die Deutschen gehoeren nicht dazu".

Auch was es mit den nachfolgenden Generationen, heisst mit den Kindern und Enkel der Ueberlebenden, auf sich hatte, wurde uns ausfuehrlich erklaert. Kinder von Holocaust - Ueberlebenden seien vielmals seelisch gezeichnet, und das aus mehreren Gruenden:

1. Ihre Eltern haetten sie zu sehr umsorgt und sie nie aus den Augen gelassen. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass Nazis kommen und sie umbringen.

2. Essen wurde gehortet und durfte nie weggeworfen werden. Wenn die Kinder fragten warum das alles so sei, kam meistens keine Antwort, denn die Eltern sprachen nicht ueber ihre Vergangenheit.

3. Die Kinder wiederum setzten die gleiche Erziehung bei ihren eigenen Kindern fort usw.

Von daher betreut Amcha gleich mehrere Generationen, was im Ausland nie zur Sprache kommt. Es geht nicht nur um Holocaust - Opfer und Ueberlebende, sondern es geht um ganze Generationen, die seelisch weiterleiden. In Amerika gibt es zu dem Thema uebrigens endlos viele Studien.

Nach ca. vier Treffen bekam jeder von uns eine Person zugeteilt. Man rief mich an und wir machten ein Treffen aus, wobei mich zwei Amcha - Angestellte mit S. bekannt machen wollten. S. war seit einigen Jahren Witwer, lebte allein und hatte sich an Amcha gewendet.

Wir alle trafen uns mit S. in seiner Wohnung und keiner wusste so richtig, wie er ein Gespraech beginnen sollte. Nach wenigen Minuten liessen mich die Amcha - Leute mit S. allein und da ich ganz gut zu reden verstehe, interviewte ich ihn erst einmal. Was mich auf den ersten Blick hin stoerte, war die etwas verwahrloste Wohnung. S. erzaehlte, dass er jahrelang seine kranke Frau gepflegt habe und sie dann verstarb. Seitdem hat er nur noch wenig Kontakt zur Aussenwelt. Nein, in einem KZ oder so sei er nie gewesen, denn schon vor dem Krieg sei er von Polen nach Israel ausgewandert und habe in einem Kibbutz gearbeitet.

Wenige Tage spaeter hatten wir ein weiteres Volontaerstreffen bei Amcha und ich beklagte mich darueber, dass S. kein Holocaust - Ueberlebender sei und er weder mich noch Amcha brauche, sondern eher einen staedtischen Sozialarbeiter, der ab und an einmal bei ihm vorbeischaut.

Und dann brach der Sturm der Entruestung los, denn fast alle anderen Volontaere erlebten das gleiche. Sie wurden in Pflegeheime geschickt, um mit Menschen zu sprechen, die einsam waren, aber nicht in die Kategorie "Holocaust" passten. Wir machten Amcha klar, dass wir keine Sozialarbeiter der Stadtverwaltung sind. Trotzdem wollte jeder vorerst seinen Betroffenen behalten und sehen, wie sich die Sache entwickelt.

Bei weiteren Treffen kamen mehr und mehr Probleme zur Sprache. Bei mir passierte es, dass S. mich staendig daheim anrief und er Amcha anscheinend mit einem Ehevermittlungsinstitut verwechselte. Kurz darauf strich Amcha ihn aus dem Programm und ich fuehlte mich erloest. Ehud hatte ein katastrophales Erlebnis, welches er bei einem Treffen berichtete und ich weiss nicht, ob er weiter volontieren wollte. Ich stieg aus, weil ich fuer einige Zeit nach Deutschland fliegen wollte.

Ansonsten ist Amcha eine sehr hilfreiche Organisation mit sehr guten Sozialarbeitern. Ich kann allerdings nur hoffen, dass sie sich ihre Betroffenen seither etwas besser aussuchen.

2 Kommentare:

  1. Das Anliegen ist viel zu kompliziert, als das über ein Gesetz so rasch wie angemessen geholfen werden kann. Es sei denn, man nimmt bewußt die Fehlleitung größerer Summen in Kauf. Statt mit der Gießkanne jedem den gleichen Betrag in die Hand zu drücken, hätte man das Geld besser einer Stiftung zur Verteilung geben sollen.

    Die Zahl der heute noch (Über-)Lebenden stellt politisch offenbar keine große Lobby dar. Und die übrigen Interessengruppen wollen nichts von ihrem Kuchen abgeben, sonst hätte man mit einigem Schwung vielleicht eine bessere Lösung finden können.

    Ich bin ein bißchen skeptisch, was das Eigeninteresse von Hilfsorganisationen angeht. Schließlich leben die davon ihre Arbeit machen zu können. Das ist wie in der staatlichen Administration, wo man auch nicht gern überflüssig wird. Es hängt wie in allen Ländern von der staatsbürgerlichen Integrität der Verantwortlichen ab, daß sie zu Reformen schreiten ...

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  2. B"H

    Die Ueberlebenden teilen sich quasi in zwei Gesellschaften: in jene, denen es gutgeht und jene, die nichts haben. Wobei letztere meistens aus Osteuropa stammen.

    Manch einer mag sich Fragen, was denn aus den Geldern geworden ist, die Deutschland zahlt.
    Denen kann ich nur antworten, dass unzaehlige Ueberlebende durch saemtliche Raster fallen. Sie koennen nicht nachweisen, dass sie in einem KZ waren etc. Es sind keine Papiere mehr vorhanden.

    Israel tut sich schwer mit solchen Leuten und zahlt kaum. Bei Neueinwanderern kommt noch dazu, dass sie eh schon relativ hohe Summen erhalten.
    Die gesetzliche Rente ist aber fuer alle neidrig angesetzt und wer privat nichts eingezahlt hat, der bekommt nur seine 2000 Shekel (ca. 400 Euro) Mindestrente im Monat.

    Eine politische Lobby hatten Holocaust - Ueberlebende noch nie. Im neugegruendeten Israel hatte man andere Probleme als sich um sie zu kuemmern. Enstand eine neue Generation und jammern war da nicht angesagt.
    Heute sagen die Ueberlebenden, dass der Staat nur darauf warte, sie sterben zu sehen, damit sie ueberhaupt nichts mehr zahlen muessen.

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