Freitag, 19. Oktober 2007

Erinnerungen an den November 1995

B"H

Der Jahrestag des Mordes am ehemaligen Ministerpräsidenten Yitzchak Rabin ruft jedes Jahr die immer wiederkehrenden Bilder ins Gedächtnis. Wenn auch manchmal nur kurzfristig, doch die Erinnerung ist selbst nach zwölf Jahren immer noch recht frisch.

Zum Zeitpunkt des Mordes, am Abend des 4. Novembers 1995, befand ich mich am Ende meines Ulpans (Hebräischsprachkurs) im Kibbutz Givat Brenner nahe der Stadt Rehovot. Soweit ich mich erinnere, war der Tag ein Samstag und die ganze Zeit über hatte ich mit ein paar Freunden überlegt, abends zu einer Großkundgebung auf den Tel Aviver Rathausplatz an der Ibn Gavirol Street zu fahren. Wir kamen zu dem Entschluß doch nicht zu fahren, denn wir befürchteten, daß dort eh alles menschenüberfüllt sein wird. Lieber hockten wir uns vor die Glotze und schauten uns den Film "Crocodile Dundee 2" an.

Wir befanden uns mitten im Film als plötzlich alles unterbrochen wurde. Zuerst blieb der Bildschirm schwarz und wir dachten, es handele sich um eine Bildstörung. Dann aber kam Bewegung auf und der Bildschirm zeigte eine Liveschaltung in ein Nachrichtenstudio. Überrascht waren wir nicht, denn in Israel sind solche Unterfangen keine Seltenheit; passieren tut schließlich genügend.

Die Journalisten liefen wild herum und niemand schien so recht zu wissen, was er berichten solle. Anscheinend sei auf Ministerpräsident Rabin am Ende der Tel Aviver Kundgebung geschossen worden. Angeblich, aber Genaues sei noch unbekannt. Dann eine Liveschaltung zum Rathausplatz, wo eine Augenzeugin befragt wurde. Diese Augenzeugin wird die Nation nicht vergessen, denn wir glaubten ihr und alles war für uns in Ordnung. "Rabin sei nichts passiert", so berichtete sie.

Okay, nichts passiert. Weiter zu "Crocodile Dundee", so dachten wir.

Wenige Minuten später eine weitere Liveschaltung, wo verkündet wurde, daß Yitzchak Rabin nicht mehr lebt. Ein Raunen ging durch die Zuhörer und ein ausländischer Journalist rief: "Be' Anglit, Be' Anglit - Auf Englisch, Auf Englisch".

Der bekannte israel. TV - Sprecher Yaakov Eylon war damals im Dienst und als zurück ins Studio gegeben wurde, saß er sprachlos da. Der Rest des abends ging in der Nachrichtenflut unter. Später wurde die Festnahme des Mörders Yigal Amir gezeigt und alle waren sprachlos. Ein Jude tötete Rabin ? Dabei hatte jeder einen Moslem erwartet.

Als ich am nächsten Morgen in den Dining - room des Kibbutzes kam, war die Stimmung dementsprechend. Keiner sagte ein Wort und eine ältere Bekannte, eine ehemalige Berlinerin aus dem Kibbutz, kam auf mich zu und fragte: "Na, was sagste jetzt dazu" ?

Im Unterricht berichtete uns die Lehrerin, was jetzt genau alles passieren wird im Land und klärte uns über die letzten Infos auf. Staatstrauer. Und im Unterricht nahmen wir jenes Lied durch, welches auf der Kundgebung auch von Yitzchak Rabin gesungen wurde: "Shir Le'Shalom". Tage darauf hielt ein Freund Rabins ein blutbeflecktes Papier hoch, wobei es sich um den Text des Liedes handelte. Rabin hatte das Papier in seiner Tasche getragen als er erschossen wurde.

Die Tage danach waren eine einzige Katastrophe für die Nation. Premiers werden in den USA (siehe Kennedy) ermordet, aber doch nicht bei uns in Israel. Die Presse nahm alles auseinander und die Witwe Lea Rabin begann ihren Rachezug gegen alles Religiöse. Mehr Infos zu dem Thema gibt es auf meinem relig. Hamantaschen - Blog.

Kibbutz Givat Brenner plante einen Bus zu mieten, damit die Kibbutzniks zur Aufbahrung der Leiche vor der Knesset fahren können. Ein paar Ulpan - Leute, darunter auch ich, versuchten unser Glück, mitgenommen zu werden und siehe da, wir hatten Glück. Nach einer Stunde waren wir in Jerusalem und der Bus parkte vor der Knesset. Tausende von Menschen waren an dem Abend unterwegs und wir suchten die Stelle, an der man sich anstellte. Dort angekommen hörten wir Berichte, daß es mindestens noch weitere sechs Stunden des Anstellens bedürfe, wenn wir überhaupt in die Nähe des Sarges kommen wollen.

Anmerkung: Im Judentum wird eine Leiche in einem geschlossenen Sarg aufgebahrt und kann nicht von außen gesehen werden. Leichen werden nicht öffentlich zur Schau gestellt, denn dies ist halachisch verboten.

Die Kibbutzmitglieder beschlossen die Abfahrt, denn es war zwecklos zu warten.
Zur Beerdigung fuhr ich jedoch dennoch, trotzdem es mir nicht gelang auch nur in die Nähe des Bestattungsortes, am Herzl - Berg, zu gelangen. Ich sah die Beerdigung in einem kleinen Restaurant in der Jerusalemer Innenstadt, die ansonsten wie leergefegt war.

Lea Rabin stritt sich mit der Opposition angeführt von Benjamin Netanyahu und Shimon Peres wurde bis zu den Neuwahlen der vorläufige Nachfolger Rabins. Aufgrund der Ermordung Rabins gewann Peres später die Wahl. Ohne den Mord hätte der Sieger wahrscheinlich Netanyahu geheißen.

Immer mehr Verstrickungen kamen ans Tageslicht. So seien der Mörder Yigal Amir und seine eventuellen Mittäter oder Mitwisser (u.a. Avishai Raviv und Amirs Bruder Chagai) angebliche Informanten des inneren Geheimdienstes Shabak gewesen. Hat der Shabak vom Mord gewußt, wenn ihn nicht sogar befohlen ?

Bis heute halten sich Gerüchte und es gibt Vorträge bzw. Literatur, daß der Shabak hinter der Tat steckte. Und überhaupt hätte Amir den Premier nur angeschossen, doch getötet worden sei Rabin erst im Wagen, der ihn ins Tel Aviver Ichilov - Krankenhaus beförderte. Die Täter: Mitarbeiter des Shabak.

Im TV dagegen sahen wir Yigal Amir bei einer Rekonstruktion seiner Tat. Er habe Rabin dreimal in den Rücken geschossen, doch der habe noch gelebt als er von seinen Bodyguards ins Auto gezerrt wurde.

Dann die Sensation: Ein Passant hatte mit seiner Videokamera das gesamte Geschehen aufgezeichnet und verlangte eine immense Summe von einem israel. TV - Kanal. Er bekam das Geld ausgezahlt und wir sahen eine Live - Show, die viele Fragen offen ließ.

Der häßliche Betonklotz des Tel Aviver Rathauses befindet sich inmitten der Ibn Gavirol Street. Einer Promenadenstraße mit vielen Geschäften und Büros. Vorne auf dem Rathausplatz befanden sich mehrere Hunderttausend Menschen und kurz vor Ende der Kundgebung sah man Yitzchak Rabin die Treppe auf der Rückseite des Gebäudes herunterkommen. Er war gut gelaunt und fragte aufgeregt nach seiner Frau Lea. Er ging in Richtung Auto und plözlich tauchte Yigal Amir hinter ihm auf und schoß.

Auf dem Video war zu sehen, daß sich Amir schon längere Zeit in dem "sterilen Gebiet" aufhielt. Steril deswegen, weil sämtliche Bodyguards die Umgebung, in der die Politiker Zugang hatten, abgeschottet hatten. Amir jedoch war es gelungen, an einer Wand gelehnt zu stehen und unbehelligt zu warten. Er sei gefragt worden, was er dort mache, doch dachten die Bodyguards anscheinend, es handele sich bei ihm um einen Shabak - Agenten.

Zuerst fuhr Shimon Peres ab und Yigal Amir berichtete später, er habe erst Peres erschießen wollen, dann aber seine Meinung geändert. Als danach Rabin kam, schlug er zu.

Die Trauer im Land war unbeschreiblich. Rabin war nicht gerade der super kommunikative Typ gewesen und viele hielten ihn sogar für einen Autisten. Ein Kettenraucher, der daheim den Fernseher und Schokoriegel liebte. Wenn er sprach, dann tat er das für israelische Verhältnisse langsam. So als ob er fast einschliefe.

Nach seinem Tod trauerte vor allem die Jugend um ihn. Junge Teenies bildeten das Hauptpublikum als ich Tage danach zum Rathausplatz fuhr. Das ganze Rathaus war mit Graffitis übersät und junge Leute sassen da und weinten.
Später wurde hinter dem Rathaus, vor der Treppe, ein Denkmal eingeweiht. Die Stelle, an der auf Rabin geschossen wurde. Wer heute an die Stelle kommt, der kann ebenso noch eine kleine Auswahl der Graffitis sehen. Abgewaschen wurden sie nie ganz.

Das Land war im Schock, doch irgendwie mußte es weitergehen; und das tat es. Der Amir - Prozeß zog sich lange hin, aber schließlich landete er lebenslang im Knast. Bis heute ist er regelmäßig in den Schlagzeilen zu finden.

Rabin jedoch wurde schnell vergessen. Schon ein Jahr danach war die Gedenkfeier keine richtige Besonderheit mehr. Zwei Jahre danach spürte man noch weniger.

Ist es allen gleichgültig geworden ?
Sicher nicht, doch ging es in der Politik weiter und Israel ist eh ein Land, in dem schnelle Wechsel stattfinden. Ewig muß sich die Bevölkerung an Neues gewöhnen und es wird uns keine Atempause gegönnt.

In diesen Tagen, am Mittwoch dem 24. Oktober 2007, jährt sich Rabins Todestag zum 12. Mal. Das Datum errechnet sich zufolge des jüdischen Kalenders, welches in diesem Jahr auf den 24. Oktober fällt.
Viele Gedenkfeiern laufen jetzt schon und auch die Medien haben wieder etwas zu berichten. In den Zeitungen werden die alten Photos nochmals aufgerollt und Freunde und Kollegen Rabins kommen zu Wort.

In der heutigen Ausgabe der Jerusalemer Wochenzeitung "Kol HaZeman" wird Bilanz gezogen. Was sagen und machen die Betroffenen heute ? Darunter wird ueber Avishai Raviv und die zwei Brueder Yigal Amirs berichtet. Auch die Familie Rabins darf nicht fehlen und die bekannte Sängerin Miri Alon, die damals mit Rabin auf der Bühne "Shir Le'Shalom" sang (am Sonntag werde ich mehr Details berichten).

Ob Rabin heutzutage vermisst wird oder nicht, darüber gibt es viele unterschiedliche Stimmen. Eines ist jedoch sicher: Yitzchak Rabin leistete mehr für sein Land als Yigal Amir. Unter anderem gewann Rabin den Sechs - Tage - Krieg (1967) und war als Premier verantwortlich für die Befreiung jüdischer Geiseln in der Aktion Entebbe.

Gescheitert ist er mit seiner Oslo - Friedenspolitik, welche sich auch heute noch negativ für Israel auswirkt.

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