Montag, 7. Januar 2008

Nostalgiehauch in der Innenstadt

B"H

Kaum zu glauben, aber ich liebe unsere Innenstadt. Touristen sagen mir manchmal, dass sei ja hier so alles ziemlich abgefackelt am Machane Yehudah Markt oder in der Jaffa Road. Kann sein, aber anscheinend sehe ich das alles gar nicht mehr nach weit mehr als sieben Jahren Jerusalem nonstop.

Jerusalem ist immer ohne Hightech - Brimborium ausgekommen und die riesigen Einkaufsparadiese wurden vorwiegend außerhalb errichtet. Dies geschah aber nicht, weil die Innenstadt derlei Shopping - Paläste nicht zuläßt, sondern vielmehr aus dem Grund, weil sich kaum ein Jerusalemer noch in die Terrorgeplagte Innenstadt traute. Allmählich zogen bekannte Shops und Kaffeehausketten in die Shopping Centren und hinterliessen eine zum Teil gähnend langweilige Innenstadt.

Nicht, dass ich mich in der Jaffa unbedingt irgendwo hinsetzen täte, aber ich gehe gerne die Straße entlang. Zugegeben, sie ist nicht das Beste, was unsere Stadt zu bieten hat und wer Jerusalem besser kennt, der meidet sogar die Jaffa und geht in die German Colony (Derech Beit Lechem Road) oder in die Emek Refaim. Kneipen und Bars sind eh schon lange in den unteren Nebenteil der Jaffa gezogen, in die Heleni HaMalka. Aber wer will schon in die kühle Baratmosphäre, wenn es die besten Cafes in der German Colony gibt ?

Anscheinend ist die Jaffa für mich zur Gewohnheit geworden und es fiel mir sogar schwer, auf den Anblick der kleinen Shops am Machane Yehudah Makrt zu verzichten. Die Shops wurden schon vor Jahren geräumt und die Gebäude versetzt. Im Jahre 2009 (falls nicht wieder umdisponiert wird) soll die Straßenbahn kommen und deswegen wurde die Jaffa am oberen Teil verbreitert. Überhaupt soll alles in wenigen Jahren nur noch Fußgängerzone sein und es soll wieder so werden wie in den Dreißiger und Vierziger Jahren. Nostalgie pur.

All das täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass Investoren einige protzige unangebrachte Großprojekte planen. Gleich neben dem Zion Square soll ein neunstöckiges Hochhaus entstehen. Reicht der häßlich Turm der Bank Hapoalim daneben nicht schon aus ?

Die Geschäfte in der Ben Yehudah haben längst nur noch Kulissenstatus. Wer kauft dort noch außer Touristen, die nichts anderes kennen als die Ben Yehudah ? Jerusalemer kaufen woanders und wenn nicht gerade sommerliches Wetter herrscht, wirkt die einst so beliebte Straße verlassen.

Viele priesen das berühmte Cafe "Atara" in der Ben Yehudah. Vor Jahren schon zog es in die Gaza Street um und schloß letztendlich ganz. In der Innenstadt tummeln sich nur noch selten Nostalgien. Das "Fink" machte wegen mangelnder Eßkundschaft dicht. Andere Traditionsgeschäfte folgten, denn wer will die hohen Mieten noch zahlen, wenn der Umsatz dahinsiecht ?

Keine Spur mehr vom Glamour des Cafe Europa aus den Dreißiger und Vierziger Jahren. Und wer kennt heute überhaupt noch das "Europa" ? Touristen haben eh noch nie etwas davon gehört. Im "Europa", im Gebäudekomplex der jetzigen Bank Leumi am Zion Square trafen sich schon die Widerstandskämpfer der Lechi und Etzel.

Und zum Ende des Monats geht eine weitere Persönlichkeit aus der Ben Yehudah. Marcel macht dicht und schließt seinen Laden nach 50 Jahren Tätigkeit. "Salon Marcel" ist der bekannteste Herrenfriseursalon Jerusalems. Der Inhaber, Marcel Selluk, wird 80 Jahre alt und geht Ende des Monats in Rente. Er rühmt sich, Ehud Olmert, Teddy Kollek, Yitzchak Rabin und vielen weiteren Celebreties die Haare geschnitten zu haben. Marcel geht und wahrscheinlich kommt ein neuer Inhaber mit nichtssagendem Sortiment, wie in fast allen Ben Yehudah Shops. Massenware, die nur die Touristen interessiert.

Dennoch gehe ich gerne durch die Innenstadt, eben weil ein vielleicht konservatives Bild zu Jerusalem gehört. Wer die Bewohner der Stadt näher kennt, der weiß, dass die wenigsten mit Luxusschnickschnack etwas anfangen können. Wie denn auch, wenn wir neben Bnei Brak die ärmste Stadt des Landes sind ?

Vielleicht wirken die alten Häuser auf einen angereisten Europäer, der die Stadt nicht als seine Heimat sieht, abstossend. Aber ich muss zugeben, dass wir unsere Stadt samt dem abgetakelten Image lieben. Wer etwas von Verfall und Muff redet, der kennt Jerusalem nicht.


Jaffa Road, Höhe Zion Square

2 Kommentare:

  1. Zu deiner Kenntnisnahme: Das Café Atara schliesst nicht, sondern es zieht nach Mevasseret Zion um.Ich weiss zwar noch nicht genau wann, aber das Lokalblättchen זמן מבשרת hat schon darüber berichtet. Vered

    AntwortenLöschen
  2. B"H

    Hi Vered,

    das Cafe Atara in der Gaza Street hat schon seit einigen Monaten dicht.

    Vielleicht hat der Eigentuemer des Atara in Mevasseret dann weniger Probleme mit den Auflagen der Stadtverwaltung.

    AntwortenLöschen