Mittwoch, 19. März 2008

Wie ist das so in Jerusalem ?

B"H

Ausgerechnet ein Leser (meines englischen Blogs) aus Honduras fragte mich, wie das Leben so ist in Jerusalem ? Wie leben dort die Juden und was ist los in der Stadt ?

Ich muß ehrlich zugeben, dass ich niemand bin, der jetzt abends wer weiß wie loszieht und auf Party macht. Mein Wissen ist recht allgemein und wenn Spezifisches angesagt ist, dann dreht sich alles um die Religion, in der ich sehr involviert bin. Von daher kann man mich alles jüdisch - religiöse über Jerusalem fragen. In christlichen Dingen hingegen bin ich kaum bewandert.

Wie ist das Leben in Jerusalem ?
Wer hier lebt, der lebt genauso normal wie anderswo in der Welt auch. Selbstverständlich ist Jerusalem die "Heilige Stadt" und die Religionen treffen hier aufeinander. Auch ist Jerusalem etwas Besonderes, wenn aber vielleicht nicht immer schön, denn auch bei uns gibt es häßliche Bauten und an Dreck fehlt es keineswegs.

Als ich das erste Mal nach Israel kam, störte mich der Müll und die staubigen Schuhe der Leute. Anfangs vermisste ich die deutsche Reinheit, gewöhnte mich jedoch schnell an die teilweise ungekehrten Straßen oder den herumliegenden Müll. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem man das alles nicht mehr wahrnimmt. Wenn ich nach Deutschland fahren täte, würde mich vielleicht die übertriebene Reinheit stören. Wer weiß.

Ansonsten ist alles ganz normal. Man geht arbeiten oder auch nicht, man versucht halt sein Leben zu gestalten. Genau wie anderswo auch. Allerdings gibt es besonders in Jerusalem das allmorgentliche Gefühl, nie genau zu wissen, was der Tag heute bringen wird. In Deutschland stand ich auf, ging zur Arbeit und eigentlich wußte ich immer, was geschehen würde. In Jerusalem ist das anders, was das Leben wesentlich interessanter macht. Täglich treffe ich neue Menschen und in unserer Stadt reden die Leute noch miteinander. Man kommt schnell ins Gespräch. Manchmal zu schnell.
Jerusalem ist persönlicher als das "kalte" Tel Aviv; vielleicht liegt es an der Religion, vielleicht auch nur am Menschenschlag.

Im Gegensatz zu den Touristen hat jeder Bewohner irgendwo sein Eckchen, zu dem er sich hingezogen fühlt. Viele in ihrem eigenen Stadtteil, andere widerum woanders. Jerusalem bedeutet Vielfalt und für jeden ist etwas dabei. Seine Nische zu finden ist nicht schwer. Manchmal mag es seltsam klingen, dass jede Gesellschaftsgruppe sind vorliebig mit den eigenen Mitgliedern auseinandersetzt. Da sind die Religiösen verschiedener Gruppen, die fast immer nur unter sich cliquen. Zu denen gehöre ich übrigens auch.
Da sind die sephardischen Juden, die oft cliquen; gemischt immerhin, auch wenn sich Marokkaner und Kurden nicht ausstehen können. Aber man gibt sich ja auch gerne einmal sarkastisch.

Was ich an den Jerusalemern so liebe ist, dass zwar alle verschieden sind, doch sobald etwas geschieht, wir alle zusamenhalten. Diese Aussage bezieht sich allerdings fast ausschließlich auf den jüdischen Bevölkerungsteil.

Arroganz ? Einen triftigen Grund, arrogant zu sein, haben die Jerusalemer weniger. Unsere Stadt besteht größtenteils aus Otto - Normal - Verbrauchern und man ist äußerst mitteilungsbedürfig entsprechend seine Privatlebens. Wir leben auf engstem Raum und es ist kaum vermeidbar, dass die lieben Mitmenschen etwas mitbekommen.

Schade, wer nur wenige Tage in Jerusalem bleibt und von sightseeing zu sightseeing rennt. Die Bewohner bleiben dabei auf der Strecke. Obwohl ich ehrlich zugeben muß, dass es keinem ernsthaftem Israeli unbedingt verzückt, mit Touristen näher in Kontakt zu kommen. Es gibt zuviele und alle reisen schnell wieder ab. Wer dagegen ein paar Monate oder gar ein Jahr oder länger bleibt, kann sich Kontakte aufbauen. Der einfachste Weg ist immer jemanden zu finden, der andere Leute kennt und einen dann gelegentlich mitschleift.

Wir Jerusalemer lieben unsere Cafes und hocken, wenn schon, stundenlang darin. Sicher ist es einfacher Kontakte zu finden, wenn man der Landessprache mächtig ist. Nicht jeder unserer Bewohner kann mit gutem Englisch aufwarten oder hegt die Geduld dazu.

Und wie die Leute reagieren, wenn ich erzähle, dass ich in Deutschland geboren wurde ? Meist gar nicht. Einige relig. New Yorker geben dann oft ihr Jiddisch preis, Israelis sagen eigentlich nichts. Man geht darüber hinweg und wendet sich anderen Themen zu. Genauso gut hätte ich sagen können, dass ich aus Andorra bin.
Kann sein, dass dies bei mir anders ist und bei Nichtjuden reagieren die Leute negativer. Vielleicht auch nicht. Allgemein sind die Leute, die ich kenne, nicht im Geringsten an Deutschland interessiert. Es ist kein Thema.

Die Mentalität ging mir zuerst auf den Geist; das ewige Geschreie, was sich hinterher nicht als solches herausstellte. Man redet halt laut und wedelt mit den Armen. Was mich immer noch stört, ist das Jerusalemer "Schubladendenken", welches Touristen nicht betrifft und sie es kaum oder gar nicht mitbekommen.
Lieben wir es nicht alle, jeden irgendwo in eine Schublade zu stecken. Sepharde, Aschkenaze, relig., säkuler, normal, anormal, rechts, links. Nach wenigen Sekunden oder Minuten steckt jeder fest in seiner Schublade drin.

Oft wirft man uns vor, nicht feiern zu können, wie die Tel Aviver, weil wir in unseren eigenen "Koscherkriegen" fast ersticken. Ein altes Vorurteil, dem jede Grundlage fehlt. Wir feiern, aber vielleicht weniger auffallend. Jerusalemer sind halt einfache Leute ohne großen Schnickschnack.

Deutsche ? Nein, Deutsche kenne ich keine und verspüre kein besonderes Verlangen danach.
Warum ? Keine Ahnung. Ich habe genügend andere Freunde; viele Israelis und Anglos. Ich bin nicht der "Deutsche", der gerne erzählt: "In Deutschland ist alles so und so…". Vielmehr erzähle ich fast gar nichts aus Deutschland. Und wenn, dann von den paar verbliebenen Freunden und der Family. Viel verpassen tue ich anscheinend nicht, nur das mir meine deutsche Sprachpraxis leider abhanden kommt.

Und wie ist nun das Leben in Jerusalem und wie sind die Bewohner ?
Statistiken gibt es keine. Jeder Stadtteil hat seinen eigenen Charakter und jeder Bewohner hat das gleiche. Am besten sollte jeder Besucher selber seine Erfahrungen machen. Stadtteile durchwandern und sich Zeit nehmen. Und am besten die Heimat vergessen, denn bei uns gelten andere Regeln.

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