Freitag, 5. März 2010

Vorurteil Nummer EINS gegenüber Mea Shearim

B"H

Das weit verbreiteste Vorurteil über den bekanntesten, doch lange nicht einzigen, Jerusalemer ultra - orthodoxen Stadtteil MEA SHEARIM (übersetzt: 100 Tore) lautet, dass die dort lebenden Haredim (Ultra - Orthodoxe) ALLES Antizionisten seien.

Wenn ich solch eine Behauptung von Touristen, Journalisten oder selbst unwissenden Israelis höre, dann geht mir jedesmal die Hutschnur hoch.
Die erste Frage sollte sein, was eigentlich ANTIZIONISMUS ist und was genau er beinhaltet.

Die zweite Frage sollte sein, aus welchen Gruppierungen sich der Stadtteil zusammensetzt. Nicht alle Gruppen / Ausrichtungen sind gleich und innerhalb Mea Shearims befinden sich viele kleine Hinterhöfe, die nochmals ihre eigene Welt bilden. Der berühmteste dürfte der "Batei Hungarin - Ungarische Häuser" sein. Ein Hof, der sich weit ausstreckt und in dem viele Neturei Karta, Toldot Aharon, Brisk oder Satmar Anhänger leben. Wer mehr dazu erfahren will, der schaue in meinen chassidischen Blog !

In Mea Shearim gibt es alles. Wilde Extremisten, Angepasste (an welche Richtung auch immer), chassidische Gruppen, die Geld vom Staat Israel bekommen und an den Knessetwahlen teilnehmen, chassidische Ausrichtungen sowie die litvisch - haredischer Brisker, die kein Geld vom Staat Israel annehmen. Zum Beispiel lehnen die Toldot Avraham Yitzchak, die Toldot Aharon oder die chassidische Gruppe Dushinsky jegliche finanzielle Hilfe vom Staat Israel ab. Dafür zahlen sie einen hohen Preis, denn sie müssen sich ausschliesslich von Spenden finanzieren. Diese wiederum erfolgen nur von Juden ! Und zwar von Juden, die den Schabbat halten und absolut religiös leben.

Manche Besucher meinen, eben mal so eine knappe Stunde durch Mea Shearim zu laufen und dann kennen sie sich super aus. Grundsätzlich kann ein Tourist das tun, doch sollte er sich, mehr oder weniger auf der Hauptstrasse bewegen und nicht in die Hinterhöfe oder den Markt gehen. Falls ja, dann überaus anständig gekleidet. Männer mit langen Hosen, langärmligen Hemden oder Jacke und Kipa. Frauen im langen Rock und langärmlig. Christliche Missionare sind unerwünscht und werden schnell hinausgeworfen.

Einfach nur so in den Hinterhöfen umschauen, ohne festes Ziel, empfehle ich nicht. Vor allem nicht am Schabbat. Frauen sollten keine Männer ansprechen und Männer keine Frauen. Kinder sollte man überhaupt nicht ansprechen, denn dann wird man automatisch für einen christlichen Missionar gehalten, der sich an die Kinder heranmacht. Mea Shearim hat da so seine Erfahrungen.

Durchgehen, kurz in der Hauptstrasse umschauen und dabei sollte es der Tourist belassen. Die Synagogen sollten nur von HALACHISCHEN Juden besucht werden. Hier wird nachgefragt, wer derjenige ist, der da die Synagoge betritt.

Aber nicht nur Touristen können auf Probleme stossen, sondern auch israelische Nationalreligiöse. Zionistisch - religiöse Juden a la Siedler etc. Zwar werden die Siedler als wichtig angesehen, doch gab es innerhalb des vergangenen Jahres häufig Probleme mit nationalreligiösen (Mizruchnikim) jungen Leuten, welche am Schabbat Mea Shearim besuchten. Hierbei vor allem mit den Mädchen, die da in Synagogen rannten, sich in einer riesen Schar niederliessen, gar nicht wussten, bei welcher chassidischen Gruppe sie sich befanden, zu singen begannen und die Mitglieder der Toldot Aharon sowie der Toldot Avraham Yitzchak dumm anmachten. Sie fingen an mit den Antizionisten zu streiten; keine Ahnung, was das ist, aber ihr Gelaber von sich gaben. Das Resultat war, dass die Toldot Avraham Yitzchak Frauen schon lange nicht mehr mit jungen nationalrelig. Besucherinnen kommunizieren und die Toldot Aharon mehr Wert auf haredische Besucher oder sogar säkulere Juden legen als auf die Nationalreligiösen.

Auf alle Fälle sollte man nicht nach Mea Shearim kommen, und die Bewohner mit irgendwelcher Meinungsmache "beglücken". Gespräche ergeben sich mit Besuchern nur unter gewissen Umständen. Meist oberflächlich, es sei denn, man wird zu einem Schabbat eingeladen und macht Bekanntschaften. Aber auch hier bevorzugen die Bewohner haredische Studenten und keine Nichtjuden oder Nationalreligiösen. Man kann zwar einmal hier und dort eingeladen werden, doch Dushinsky, Brisk, Satmar, Toldot Aharon, etc. bevorzugen haredische Besucher. Karlin - Stolin ist offener und einige Chassidim machen etwas auf Outreach. Bei anderen Gruppen hingegen geht es etwas strenger zu. Teilweise aus schlechten Erfahrungen heraus.

Was weniger bekannt ist, ist die gewaltige "Chesed - Hilfsbereichtschafts - Welle", die durch die haredische Gesellschaft rollt. Dem Stadtteil fehlt es gewiss nicht an Armut und überall sind Suppenküchen oder finanzielle Hilfsorganisationen zu finden.



Suppenküche bei "Linat HaChesed" im Markt von Mea Shearim. Die Suppenküche wird von den chassidischen Gruppen Breslov und Toldot Avraham Yitzchak geleitet und ich betreibe derweil etwas Fundraising für die Organisation. 10,000 Essenspakete wurden an Bedürftige an Purim ausgegeben und jetzt steht Pessach unmittelbar vor der Türe.



Ausgabe von Schabbatbroten (Challot) an Bedürftige



Kleiderausgabe



Die Suppenküche



Das Fertigmachen von Essenspaketen



Essenausgabe

3 Kommentare:

  1. >Frauen im langen Rock und langärmlig.

    Eine Frage zum besseren Verständnis:
    Wenn eine Touristin in Mea Shearim ein langärmliges und bodenlanges orientalisches Kleid trägt, ist das dann in den Augen der Bewohner angemessen oder muß die Kleidung unbedingt einen alteuropäischen Touch haben, um nicht unangenehm aufzufallen?

    AntwortenLöschen
  2. B"H

    Wenn Du mit einem Kleid der Araberinnen auftauchst, so mag dies oeffentlich zwar anstaendig angezogen sein; in die kleineren Gassen und in die Hinterhoefe bzw. Synagogen solltest Du damit auf keinen Fall gehen.

    Innerhalb der "europ". anstaendigen Kleidung gibt es schon genuegend Unterschiede. So erkennt man die Nationalrelig. oder die haredischen Seminargirls sofort von weitem.

    AntwortenLöschen
  3. >Wenn Du mit einem Kleid der Araberinnen auftauchst, so mag dies oeffentlich zwar anstaendig angezogen sein; in die kleineren Gassen und in die Hinterhoefe bzw. Synagogen solltest Du damit auf keinen Fall gehen.

    Genauso habe ich mir das vorgestellt, daß ausgerechnet die ursprüngliche Frauentracht dieser Region bei den Haredim heute als unpassend gilt. Denn es versteht sich natürlich von selbst, daß die israelitischen Stammütter schon damals vor 3-4000 Jahren in der Wüste Perücken und blickdichte schwarze Strümpfe zu geschlossenen Schuhen trugen, und wer etwas anderes behauptet, der begeht üble Nachrede.

    AntwortenLöschen