Sonntag, 12. August 2007

Der verschwiegene Makel

B"H

Die Tageszeitung MAARIV sprach in ihrer letzten Freitagsausgabe ein sehr interessantes Thema an: Ehescheidungen in der nationalreligioesen Gesellschaft.
Ein Thema, welches auch mir gut bekannt ist und uebrigens nicht nur die Nationalreligioesen betrifft, sondern genauso Haredim und Nichtreligioese.

In den vergangenen Jahren gab es in Israel, wie auch in anderen Laendern, ein grosses Umdenken. Genossen frueher geschiedene Frauen in der nichtreligioesen israel. Gesellschaft einen negativen Ruf und wurden als eine Kuriositaet betrachtet, hat man sich mittlerweile an die Tatsache gewoehnt. Israel ist ein Scheidungsland und jedes Jahre gehen Tausende von Ehen zu Bruch. Geschiedene Maenner haben weniger Probleme mit ihrer Umwelt, wenn sie ihre Scheidung bekanntgeben. Frauen mit Kindern dagegen haben immer einen kleinen Kampf um Anerkennung zu bestehen, obwohl Scheidungen heutzutage etwas Alltaegliches geworden sind.

Dennoch, die israelisch - juedische Gesellschaft ist nach wie vor eine familienorientierte Gesellschaft. Vater, Mutter, Kind. Das muss so sein und wer es nicht hat, ist anders. Sicher kommt es darauf an, wo man wohnt. Tel Aviv ist in der Beziehung toleranter und anonymer als Jerusalem.

MAARIV aber bezog den Artikel nur auf die nationalreligioese Gesellschaft und berichtete von geschiedenen Frauen aus dem Gush Etzion - Gebiet (relig. Siedlungen zwischen Jerusalem und Hebron).
Wer sich entscheidet, in eine religioese Siedlung zu ziehen, dem geht es so wie den Kibbutznikkim; zuerst muss ein Aufnahmeantrag gestellt werden. Viele religioese Siedlungen nehmen grundsaetzlich nur Ehepaare auf und keine Singles. Letzteres gibt es in religioesen Kreisen ab einem bestimmten Alter eh nicht mehr, denn normalerweise heiraten Religioese recht frueh. Haredim mit 18 und Nationalreligioese etwas spaeter. Religioes zu sein bedeutet aber keine Garantie fuer eine intakte Ehe. Wir alle sind nur Menschen und ueberall kann etwas zu Bruch gehen. Ob nach ein paar Monaten, nach ein paar Jahren oder nach mehr als 30 Jahren.

Aber eine religioese Siedlung ist meistens ein Dorf und jeder weiss ueber jeden Bescheid. Familie ist das A und O solcher Siedlungen und Muetter veranstalten Muettertreffen, Maenner treffen sich mit Maennern und auch die Kinder sind unter sich. Was nun, wenn eine Ehe schiefgeht ?
In nichtreligioesen Zirkeln wuerde dann eine der Parteien ausziehen und in der Regel bleiben die Kinder bei der Mutter. So auch bei den beschriebenen Paaren in der MAARIV. Der Ehemann zog aus und die Frau blieb mit den Kindern in der Siedlung wohnen. Fuer die religioese Gesellschaft ist es immer noch schwer, sich mit solch einem Thema zu befassen. Nationalreligioese wie Haredim kehren es gerne unter den Teppich, denn eigentlich darf es keine Scheidungen geben. Noch bis vor wenigen Jahren wollte man kein Aussenseiter sein und entschloss sich zusammenzubleiben. Das Ehepaar lebte nebeneinander her und zog die Kinder gross. Heute dagegen sind die Frauen mutiger geworden und packen ihre Koffer.

Nach der Trennung beginnt zuerst einmal das Gerede in der Siedlung. "Weisst Du schon…." Des weiteren tun sich ploetzlich ungeahnte Komplikationen auf. Eine alleinstehende Frau wird zur Bedrohung in der Siedlung. Was, wenn sich andere Maenner fuer sie interessieren, weil sie alleinstehend ist? Da koennte der ein oder andere schon auf dumme Gedanken kommen. Und was passiert, wenn andere unzufriedene Frauen die Geschiedene als Beispiel nehmen und sich auch zur Scheidung entschliessen ? Genau das sind die Vorurteile, die hinter vorgehaltener Hand durch die Siedlung gefluestert werden.

In der haredischen Gesellschaft ist es in der Regel so, dass die frisch Geschiedene so schnell wie moeglich wieder verheiratet werden soll, was sie meistens auch selbst will. Das Problem loest sich also oft von selbst innerhalb weniger Monate.
Bei den Nationalreligioesen schaut es etwas anders aus, denn dort sind die Frauen um einiges feministischer und wer die Schnauze voll hat vom Thema EHE, der geniesst das Single - Dasein. Der gesellschaftliche Zwang zur neuen Heirat kann beiseite geschoben werden. Nicht selten passiert es, dass Frauen mit Kindern in Grossstaedte ziehen, um anonymer zu leben. Allerdings gaben die geschiedenen nationalrelig. Frauen zu, dass sie mit vielen Entscheidungen einfach allein gelassen werden. Wer unterrichtet nun daheim die Soehne Thora und Talmud, wenn der Vater fehlt oder wer bringt die Kinder in die Synagoge ? Und was geschieht ueberhaupt mit den Kindern, die auf relig. Schulen dem Spott anderer Kinder ausgesetzt sein koennten ?

Einige geschiedene nationalrelig. Frauen haben nun eine Initiative gegruendet, wo sie das erste Mal ueber ihre Probleme reden und sich gegenseitig Mut machen. Erst mitleidig belaechelt, bekommt die Initiative taeglich neue Mitglieder und die Frauen reden davon, dass 50 % der Ehen in jeder Siedlung am Abgrund stehen, doch keiner der Parteien die Scheidung einreicht, um sich nicht blamieren.
Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis das Thema "Scheidung" auch in der relig. Gesellschaft oeffentlich diskutiert wird. Bisher schweigen sich auch die Rabbiner aus und wiegeln ab, doch die Realitaet schaut mittlerweile anders aus.

2 Kommentare:

  1. Hmm, die Aussage, dass soviele Ehen am Abgrund stehen sollen, macht mich traurig. Ich war bisher immer stolz auf die niedrige Scheidungsquote bei den Religiösen und habe das auf die bessere Einstellung zur Ehe bezogen, nicht auf gesellschaftlichen Druck. Ich kenne B'H' sehr viele gute Ehen und kann nur hoffen, dass das so bleibt.

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  2. B"H

    Selbst in haredischen Kreisen kommt es zu mehr und mehr Scheidungen.
    Persoenlich kann ich mich nicht mit dem Shidduch - System anfreunden und schiebe manchmal die Schuld darauf.
    Tatsache ist aber, dass wir alle nur Menschen sind und ueberall eine Ehe schiefgehen kann.

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