Montag, 20. September 2010

Jerusalem und wir alle im Umbruch


Jerusalem:
Kreuzung Jaffa Road, King George und Strauss Street
in der Innenstadt

Photo: Miriam Woelke



B"H


Das Leben in Israel hat so seine Vorteile gegenüber dem in Deutschland. Zu allererst fällt einem da natürlich das Wetter ein. In Jerusalem ist noch nicht viel vom anstehenden Herbst zu sehen. Zumindest noch keine gelben Blätter. Alles ist grün und die Sonne scheint bei 28 Grad Celsius. Dennoch gehe ich häufig durch die Strassen der Innenstadt und suche das "alte" Jerusalem aus den 80iger oder 90iger Jahren. Die Enge der Jaffa Street am Machane Yehudah Markt und die ehemalige grüne Verkehrsinsel an der Zalman Shazar Stadteinfahrt. All das gibt es nicht mehr und es zog die Moderne ein.


Der einstige Bürgermeister Ehud Olmert startete den Umbruch und wollte aus Jerusalem endlich einmal Weltniveau machen, anstatt dem Rustikalen hinterher zu rennen. Ein New York sollte schon her, damit die Touristen anrollen, ihr Geld ausgeben und die Jerusalemer Wirtschaft boomt.
Nur kommen die Touristen auch so und die Jerusalemer sind und werden nun einmal keine New Yorker, obwohl seit einiger Zeit auch die Ellenbogengesellschaft eingezogen ist. Die Jerusalemer haben das Kämpfen a la Tel Aviv gelernt. Wohnungen werden immer knapper, vor allem dank Obamas Baustopp, und damit die Vermieter immer raffgieriger. Neulich überhörte ich ein Gespräch einiger Studenten, die sich auf Wohnungssuche befinden. 6000 Schekel (ca. 1200 Euro) Monatsmiete zahle ein Bekannter an Miete für eine kleine Bleibe in der King George. Jetzt muss er auch noch Mitbewohner suchen, um das alles zu finanzieren. Aber das sei nun mal der Preis in Jerusalem.


Von den Mieten und sonstigen Lebenshaltungskosten abgesehen, Jerusalem verändert sich immer mehr zum Negativen. Wenn gebaut wird, dann Luxus für Reiche. Amerikanische und französische Juden aus dem Ausland investieren und kaufen Immobilien, die sie selber nur an den Feiertagen nutzen. Ansonsten leben sie in der Diaspora und suchen die Immobilien in Tel Aviv, Eilat oder Jerusalem lediglich als Notlösung falls der Antisemitismus im Ausland zu schlimm wird. Die Jerusalemer haben das Nachsehen, denn sie können sich die teuren Immobilien nicht leisten und viele sind gezwungen wegzuziehen. Dadurch nimmt der arabische Bevölkerungsteil immer mehr zu.


Der jetzige Bürgermeister Nir Barkat will den jungen Jerusalemern etwas bieten. Auch am Schabbat und driftet so immer mehr in das säkulere Leben. Kinos offen, Pubs offen, nur damit jemand in der Stadt bliebt und einmal nicht nach Tel Aviv anwandert. Dabei vergisst Barkat den eigentlichen Rythmus der Stadt und ihrer Bewohner.


Vielerseits vernahm ich, dass die Leute dennoch abwandern. Richtung Tel Aviv, Modi'in, Beit Shemesh oder andere gehen in den Norden. Nach Haifa, Carmiel oder sogar nach Safed (Zfat). Aus Tel Aviv bin ich weg und Jerusalem sagt mir nichts mehr. Die ewige Hetzerei nach Geld, um Rechnungen zu zahlen, habe ich satt und da liegt der Gedanke nahe, woanders neu zu starten. Alternativen und Perspektiven sind da und warum nicht einfach zugreifen. Die Bäckerei kündigte ich zum Oktoberende und nach den Sukkotfeiertagen beginnt die Bürokratie, denn ich bekomme einige Tausend Schekel an "Pizu'im - Entschädigungen vom Arbeitgeber bei Betriebskündigung". Formulare ausfüllen, sich mit der Buchhalterin zusammensetzen und und und.


Schlechte Nachrichten dagegen scheint es für viele Bewohner des Nordens dann doch noch zu geben. Nicht die Bedrohung der Katyusha - Raketen der Hizbollah aus dem Libanon, sondern drastische Mieterhöhungen drohen: Die Bahn will eine Strecke von der Küste bis hin nach Beit Shean (via Carmiel) einrichten. Nicht bis hinunter zum See Genezareth (Kinneret), aber auch wiederum nicht all zu weit entfernt. Liegen Carmiel und weitere Orte erst einmal an einer Bahnstrecke, werden vermutlich die Mieten ebenso dort in die Höhe schnellen.


Ich jedenfalls bin sehr froh über meine Entscheidung und meine Freunde sehen es positiv. Das Leben geht weiter und die grosse Action muss nicht immer präsent sein. Haredisches (ultra - orthodoxes) Leben ist genügend vorhanden, Synagogen auch und viel viel Landschaft. Vielleicht wird es ja wieder rustikal und ich hoffe sehr, dass die französischen Anleger nicht noch in den letzten Winkel des Landes kriechen und uns das Leben vermiesen bzw. die Ellenbogen - Jerusalemer oder Tel Aviver daheim bleiben.

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